Esoterik

Seriöse Esoterik - Vielleicht ein Widerspruch

Rumi: Gedichte aus dem Diwan
Aus dem Persischen von Johann Christoph Bürgel
C. H. Beck Verlag, München 2003

"Höre auf die Geschichte der Rohrflöte, wie sie sich über die Trennung beklagt:
Seit ich aus dem Schilf geschnitten wurde, hat meine Klage Mann und Frau zum Weinen gebracht
Ich suche nach einer von der Trennung zerrissenen Brust, der ich meinen Sehnsuchtsschmerz enthüllen kann
Jeder, der weit von seinem Ursprung entfernt ist, sehnt sich danach, wieder mit ihm vereint zu sein."

Der Begriff Esoterik ist nicht einheitlich definiert. Er geht zurück auf Platon, Aristoteles und Pythagoras, die eine "innere Lehre" von der Exoterik, der öffentlichen Lehre unterschieden. Dies war nun keine explizite Geheimlehre, wie oft behauptet, sondern eher einem höhergebildeten Kreis von Kollegen, Lehrern und Gleichgesinnten zugedacht. Inhaltlich ging es hier um philosophische Themenkreise wie Selbsterkenntnis, Sinn, Spiritualität und allgemeingültige Gesetze unter Einbeziehung der Dreiheit von Körper, Seele und Geist.
Das Substantiv taucht als „l‘ésoterisme“ erstmals 1828 in Jacques Matters „Histoire critique du gnosticisme et de son influence“ auf und erhält schließlich um 1870 durch Eliphas Lévi alias Alphonse Louis Constant (früher Abbé, 1810-1875) seine heutige Prägung (HANEGRAAFF 1996: New Age religion and Western culture: esotericism in the mirror of secular thought, Leiden, S. 385f.). Bereits 1799 sprach allerdings Novalis in „Die Christenheit oder Europa“ (zuerst 1826 veröffentlicht) von einer „Esoterisirung der Bibel und der heiligen Gewalt der Concilien und des geistlichen Oberhaupts“ (NOVALIS: „Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs“, Band 3, Stuttgart 1960–1977, S. 512).

Die "Eso-Welle" seit Ende der 60er Jahre hat eine Menge pseudo-esoterische Scharlatanerie hervorgebracht. Darunter leidet das Image einer esoterischen Sicht- und Lebensweise. Dadurch werden jedoch die grundsätzlichen Aussagen nicht weniger bedeutsam.

Es fällt uns, die wir seit 200 bis 300 Jahren einem zunehmend rein naturwissenschaftlichen Weltbild  zugetan sind, sehr schwer, uns dem esoterischen Weltbild zu nähern. Und so gibt es meist zwei Arten, mit diesem Begriff und einer entsprechenden Lebensweise umzugehen:
Begibt sich jemand auf einen esoterischen Weg, wird er entweder wahrscheinlich versuchen, wie gewohnt hemdsärmelig zu beschließen, nun auch entsprechende Kurse zu absolvieren, sich zu belesen, etwas zu lernen, zu üben und abzuwägen, was er in welcher Zeit absolviert haben muß um Dieses oder Jenes zu erreichen. Er geht also genauso mit der Welt um, wie bisher: verhaftet an der Welt.
Die andere Art ist eine rein schwärmerische, verklärende und verklärte Umgangsart. Diese Menschen fühlen sich vom Licht, der Liebe und der jenseitigen erleuchteten Seite des Daseins angezogen und versuchen, sich den irdischen und weltlichen Realitäten des Lebens zu entsagen: Weltflucht.

Ideal wäre jedoch wie so oft die ausgewogene Vereinigung beider Pole: Benutzung der Welt, um sie zu überwinden.

Die Menschen früherer Kulturen hatten einen anderen Zugang zur Welt. Vor der Ära der Naturwissenschaft waren es Mythen und Märchen, die in eindrucksvollen Bildern die Welt erklärten. Das war nun nicht Unwissenheit und Aberglaube oder gar "primitiv"! (Glauben Sie ernsthaft, daß Menschen wie Aristoteles oder Paracelsus primitive Geister waren?) Egal wie "primitiv" und "abergläubisch" aus heutiger ("naturwissenschaftlicher") Sicht die Menschen waren: Sie sahen eine eigene Verantwortung für ihr Schicksal. Eine Krankheit z. B. war die "Strafe" für irgendetwas, was sie selbst "verschuldet" haben. Sie sahen die Welt mit allem, was in ihr wahrnehmbar ist, als Ausdruck und Form des "Göttlichen". Sie versuchten, die Welt zu lesen und über die Welt bzw. mittels der Welt Kontakt aufzunehmen mit dem Schöpfer. Sie versuchten herauszufinden, was es mit ihnen zu tun hat, wenn ihnen ein Schicksal, welcher Art auch immer, widerfuhr.

Heutzutage suchen wir die Verantwortung IMMER im Außen, bei den anderen, bei der Umwelt, den Politikern, der Gesellschaft, der schlimmen Kindheit, den Drüsen oder Genen usw.

Ein esoterischer Weg ist jedoch eine Art goldene Mitte zwischen Weltflucht und Weltverhaftung: Es geht darum, weder die Esoterik noch die Naturwissenschaft zu verteufeln oder andersherum weder die Esoterik noch die Naturwissenschaft zum Alleingültigen zu postulieren. Nicht: entweder - oder sondern: sowohl als auch sollten möglich sein. Die Erklärung der Welt ist naturwissenschaftlich UND esoterisch möglich. Allein die Aussage, es sei NUR naturwissenschaftlich möglich und die Esoterik überholt, macht Probleme, denn es ist im wahrsten Sinne des Wortes eine EIN-seitige Sicht, die sprichwörtliche EINE Seite der'Medaille. Nun kann man das Unerklärliche, das Unaussprechliche, also all das, was die Naturwissenschaft eben NICHT erklären kann, nicht mit naturwissenschaftlichen Techniken herleiten und zu erklären versuchen. Dafür bedarf es eines anderen Zugangs: Märchen und Mythen. Diese erzählen und beschreiben archetypische, das heißt, allen Menschen (auch "ungebildeten" und Kindern) seelisch verständliche Geschichten und Bilder. DAS ist die Sprache der Seele, die Sprache von Mittel-/Zwischenhirn, was auch die modernste Hirnforschung so sieht (sic!).

Esoterik ist also NICHT Weltflucht durch z. B. Räucherstäbchen, Meditation, Yoga o. ä., "positives Denken" und die Maxime: "Tu nur Gutes und laß das Schlechte!"
Esoterik ist dagegen sehr wohl bewußter Umgang mit sich und seiner Umwelt, also bewußtes Ritual und bewußtes Leben (dann auch gern auch mit Hilfe von z. B. Räucherstäbchen, Meditation, Yoga o. ä.) und eine Einstellung: "Ich bin einverstanden mit allem, was ist. Alles auf dieser Welt hat seine Berechtigung allein dadurch, daß es IST, ich schaue auch die mir unangenehmen Dinge des Lebens an." (auch das "Böse/Schlechte" -> die "Schatten" -> Schattentherapie).

Esoterik ist NICHT Zauberei, Liebestränke, Engelsbilder, Platinpendel oder die Teilnahme an spiritistischen Séancen als Technik zum Erreichen egoistischer weltlicher Ziele.
Esoterik ist wohlverstandene Magie (dann auch unter Nutzung von Utensilien wie Pendeln o. ä.), ist Öffnung für die Frage nach der Bedeutung all dessen, was mir begegnet, ist Entwicklung eines Bewußtseins über meine Natur, meine Fähigkeiten und meine Grenzen.

Esoterik ist die Überwindung der Welt, in der wir leben, unter Verwendung der Welt! Wer den esoterischen Weg einschlägt, versucht, die Welt zu durchschauen mit allem was in ihr ist. Ohne Teile der Welt abzulehnen, weil sie mit einer Wertung belegt in den Schatten verdrängt werden. Esoterik sollte nicht als Alternative zur Naturwissenschaft, sondern als Ergänzung dieser verstanden werden. Nicht: entweder-oder, sondern: sowohl als auch. Erst beide Betrachtungsweisen der Welt führen zu einem echten ganzheitlichen Zugang. Nebenbei bemerkt ist in dieser Herangehensweise natürlich das Vorhandensein von Wertungen nicht abzulehnen, denn wir Menschen werten nun mal. Der Versuch, Wertungen "zu lassen" wäre der Versuch, einen Teil der Wirklichleit abzulehne und zu verdrängen, was zu weiterer Trennung statt Synthese führt und somit kein esoterischer Weg wäre. Da bekommt man schon mal gern einen Knoten im Gehirn... (im Gehirn?)

Eine esoterische Psychotherapie wie die Reinkarnationstherapie arbeitet mit allen Anteilen unseres Seins, nämlich den drei Ebenen Körper (durch den verbundenen Atem zu Beginn der Sitzung), Seele (durch die Bildersprache der Seele während der Sitzung) und Geist (Gespräch vor und nach der Sitzung).
Weiterhin liegen ihr folgende Annahmen zu Grunde:
1. Polaritätsgesetz
2.
Umwelt als Spiegel
3.
Es gibt feinstoffliche Energie
4. Analogiegesetz (Beitrag ist in Arbeit)

Deutschlandfunk, September 2007:
Ein Konventionen sprengendes Religionsverständnis

Zum 800. Geburtstag des persischen Dichters Rumi

Der Dichter Maulana Djalaludin Rumi war mehr als nur ein Verfasser von Versen. Vor allem war er Mystiker, Gottsucher, Ekstatiker. Als Begründer des Mevlevi-Ordens im türkischen Konya, dem die berühmten Tanzenden Darwische entstammen, wird er in seiner Heimat bis heute wie ein Heiliger verehrt.

Von Stefan Weidner

"Höre auf die Geschichte der Rohrflöte, wie sie sich über die Trennung beklagt:
Seit ich aus dem Schilf geschnitten wurde, hat meine Klage Mann und Frau zum Weinen gebracht
Ich suche nach einer von der Trennung zerrissenen Brust, der ich meinen Sehnsuchtsschmerz enthüllen kann 
Jeder, der weit von seinem Ursprung entfernt ist, sehnt sich danach, wieder mit ihm vereint zu sein."

Kann man diese Verse als bekannt voraussetzen, die eines der berühmtesten mystischen Lehrgedichte der Weltliteratur einleiten, das Masnawi? Sein Autor ist heute berühmter als je. Denn selten dürfen wir den 800. Geburtstag eines Dichters feiern, der auch jenseits akademischer Kreise oder einer kleinen Bildungselite gelesen wird. Im Fall des, laut Überlieferung am 30.9.1207 in Balkh, heute ein Vorort von Mazar-e Sharif in Afghanistan, geborenen Maulana Djalaludin Rumi, wagen wir die Behauptung, dass es überhaupt keinen Dichter seines Alters gibt, der eine vergleichbare Verbreitung genießt: im Westen, ebenso wie im Orient, in der Übersetzung, wie im persischen Original, unter Literaturfreunden, ebenso wie bei Lesern, die sonst kaum je Gedichte zur Hand nehmen. Wenn man seine Popularität in spirituell orientierten Subkulturen mitbedenkt, ist er nicht nur, wie es in den USA heißt, "the most read poet in America today", sondern vielleicht der meistgelesene Dichter überhaupt. 

Um die atemberaubende Renaissance dieses bis Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts im Westen allein Fachleuten bekannten Autors nachzuvollziehen, muss man sich klarmachen, dass Rumi mehr als nur ein Verfasser von Versen gewesen ist. Vor allem war er Mystiker, Gottsucher, Ekstatiker. Seine eingängige, leichtverständliche Dichtung spricht nicht nur Literaturfreunde an, sondern Sinnsucher jeglicher Provenienz. Als Begründer des Mevlevi-Ordens im türkischen Konya, dem die berühmten Tanzenden Darwische entstammen, wird er in seiner Heimat bis heute wie ein Heiliger verehrt. Schon in schmucklosen Interlinear-übersetzungen betört die bildkräftige Sprache seiner Gedichte; die persischen Originale sind reine Musik.

Unter den vielen Rumi-Nachdichtern gibt es nur wenige, die den Ehrgeiz hatten, das betörende Klangbild des Persischen nachzubilden. Zu diesen zählt Friedrich Rückert und, in jüngerer Zeit, der Orientalist Johann Christoph Bürgel. Beispielhaft gelungen ist seine Eindeutschung von Rumis berühmtem Frühlingsgedicht:

"Der Frühling kommt, der Frühling kommt,
Frühling der duftgeschwellte kommt!
Der Schöne kommt, der Schöne kommt, 
Der Schöne ohne Schelte kommt!
Der Frühtrunk kommt, der Frühtrunk kommt,
Die Heiterkeit des Geistes kommt! 
Der Reigen kommt, der Reigen kommt,
Der Reigen ohne Reue kommt! 
Es kommt ein Sein, es kommt ein Sein,
Das alle Herzen lachen macht
Wieso: 'Es kommt!' Wieso 'Es kommt!'
Da es doch nie von hinnen ging?! "

"Jetzt muss wer spricht verstummen, und
Der Stumme wird zum Sprecher jetzt.
Zähl nicht die Laute mehr: Das Wort,
Des Laute keiner zählte, kommt!"

Das Wechselspiel zwischen Immanenz und Transzendenz, zwischen dem Lob Gottes und der Feier der Schöpfung, kennzeichnet die meisten von Rumis Versen. Die monotheistische Strenge des islamischen Glaubens wird abgefedert durch eine pantheistische Verherrlichung der Elemente. Diesem Weltverständnis ist das Paradoxon naturgemäß das angemessenste Stilmittel. Wenn der Dichter wie am Ende des Frühlingsgedichts die Selbstabschaffung proklamiert und verstummen will, besingt er doch zuvor in aller Ausführlichkeit Schenke, Steine, Frühling, Buhle, Blumen und dergleichen sinnlicher Dinge mehr. Esoterik und Exoterik, das Hohe und das Gewöhnliche, Gelehrsamkeit und Didaktik fallen bei Rumi in eins. Diese lyrische Feier von Schöpfer und Schöpfung hat ihren Urgrund in einer spirituell grundierten Liebesphilosophie. Rumi und die Liebe gelten, in der weltweiten Populärrezeption des mittelalterlichen Dichters, praktisch als synonym. Sogar Popstar Madonna hat einen Videoclip mit einem Gedicht von Rumi aufgenommen.

Die für die mystische Dichtung des Islam charakteristische Vieldeutigkeit begünstigt die Rezeption über weltanschauliche Grenzen hinweg. Der Synkretismus, der diese Rezeption auszeichnet, ist schon bei Rumi selbst angelegt. Obwohl er lange Jahre als ausgebildeter Rechtsgelehrter tätig war, hat sein Wirken mit dem traditionellen Islam, der heute so negativ von sich reden macht, wenig zu schaffen. 

Die urknallhafte Begegnung mit dem charismatischen Wanderderwisch Schams at-Tabrisi verwandelte den damals 37 Jahre alten, gewissenhaften Gelehrten selbst in einen Gottsucher. Der Liebesrausch führte ihn an den Rand seiner bürgerlichen Existenz und endete mit der nie recht aufgeklärten Ermordung von Schams. Wichtiger, als der schon damals skandalträchtige homoerotische Charakter dieser Freundschaft, erscheint heute ihre geistige Dimension. Erst Schams, dessen unorthodoxe mystische Lehren Rumi ein neues, die Konventionen sprengendes Religionsverständnis vermittelten, machte ihn zum Dichter. Der Geliebte erscheint in Rumis Versen als beinahe gottähnliche Gestalt.

"O Mondenglanz, o Königsblut,
o besser Du als hundert Glut,
o Wasser und o Feuersglut,
O Perle und O Meerflug, komm!

Schams, meiner Seele Herr Du heißt! 
Durch Dich, o auserkorner Geist, 
Tabris wie Gottes Thronstuhl gleißt!
Vom Fernsten Tempel her, o komm!"

Über Rumi zu sprechen heißt zwangsläufig auch, über die Rumi-Übersetzungen zu sprechen. Sucht man im Buchhandel, in Antiquariaten oder im Internet, findet man sich mit einer Überfülle von Ausgaben für die unterschiedlichsten Zielgruppen konfrontiert. Wer sich vornehmlich für den spirituell erbaulichen Rumi interessiert, hat es am einfachsten. Er kann zu einer der, meist aus dem englischen weiterübersetzten, Rumi-Auswahlen greifen, die mittlerweile in zahlreichen Taschenbuchsausgaben vorliegen. Wer dem echten Rumi näher kommen will, der wird zu den Werken der Orientalisten greifen, im deutschsprachigen Raum vor allem Annemarie Schimmel und Johann Christoph Bürgel. Diese Ausgaben bieten sachgerechte Hintergrundinformationen und Nachdichtungen, die den Anspruch haben, die sprachliche Meisterschaft des Originals nachzuahmen. Bürgel gelingt dies besser als Schimmel, doch bei beiden gehen die formalen Bemühungen auf Kosten des Gehalts und der Bildkraft von Rumis Texten.

Besonders bedauerlich ist dabei, dass alle Übersetzer Rumi als Steinbruch begreifen. Eine Gesamtausgabe fehlt, ja nicht einmal ein komplettes Einzelwerk wie der "Diwan des Schams at-Tabrisi" oder das "Masnawi" ist gegenwärtig auf deutsch greifbar. Erlauben wir uns daher aus Anlass des 800sten Geburtstags dieses poetisch-mystischen Giganten den Vorschlag, dass die literaturfreundlichen Stiftungen und akademischen Vereine zur Abwechselung einmal nicht die dritte, vierte oder fünfte historisch-kritische Kafka-, Hölderlin- oder Thomas Mann-Edition finanzieren, sondern für einmal eine schöne, vollständige deutsche Rumi-Übersetzung. 

Rumi: Gedichte aus dem Diwan
Aus dem Persischen von Johann Christoph Bürgel
C. H. Beck Verlag, München 2003

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